Freitag, 15. November 2019

Día Weltwärts

Am 8.November fand in Quito in der Residenz des deutschen Botschafters Dr. Phillip Schauer in Cumbres del Valle, Cumbayá, der Día Weltwärts statt. Von 7:30 Uhr bis 16:30 Uhr haben sich dort alle 150 Weltwärts-Freiwilligen aus ganz Ecuador getroffen, um den Tag zusammen zu verbringen. Der Botschafter selbst kam wegen eines Termins erst später, weshalb seine Frau die Begrüßung übernommen hat. Neben den sieben Experten, die für Vorträge und Workshops eingeladen wurden, gab es ein Team, bestehend aus rund zehn Mitarbeitern, Praktikanten und Photografen, die den Tag organisiert und somit ermöglicht haben. Nach der Begrüßung gab es einen kurzen Vortrag über Sicherheit, bei dem wir nochmals unter anderem über das Verhalten bei Erdbeben und Vulkanausbrüchen informiert wurden, uns erzählt wurde, wie wir am besten auf unsere Sachen aufpassen und uns Tipps für Bus und Taxifahrten gegeben wurden. Nach einer kurzen Pause gab es einen längeren Vortrag von einem Professor einer Universität über die Geschichte Ecuadors, ihre Politik und die Unruhen des vergangenen Monats. Der Professor erzählte von den Höhen und Tiefen Ecuadors, die stark mit der Erdölproduktion verbunden waren, wobei er die durch wachsende Ölproduktion, steigende Ölpreise und starkes Wirtschaftswachstum bedingten Höhen als “Party” und die durch das Sinken des Ölpreises bedingten Tiefen und die damit einhergehende Verschuldung und Inflation als “Kater” bezeichnete. Er sprach die zu vielen Konsumausgaben in der Zeit des Wohlstandes an, welche Ecuador zusammen mit Kriegen und Unwetterkatastrophen immer wieder in eine Krise brachten. Außerdem betonte er, dass die stagnierende Wirtschaft der Grund für die Unruhen gewesen sei, weil die Leute durch die nicht weiter wachsende Wirtschaft ungeduldig geworden seien. Die Verkleinerung der Benzin und Dieselsubventionen habe das Fass dann zum Überlaufen gebracht, weshalb die Proteste des letzten Monats, die übrigens vor allem gegen den Rechnungshof gerichtet waren, stärker und gefährlicher denn je waren. Nach einer weiteren Pause mit kleinen Snacks ging es in die vier Workshopgruppen, die durch die Farbe der Eintrittsbänder quasi ausgelost worden waren. Einer davon war ein Vortrag über das Amazonasgebiet und besonders über den Nationalpark Yasuní und deren Erdölausbeutung, indem es darum ging, dass das Land den indigenen Völkern gehört, aber die Erdölblöcke dem Staat, womit dieser das Recht hat, das Erdöl aus dem Boden zu holen, aber die Indianer durch die Verschmutzung und das Methan, was dabei ebenfalls an die Erdoberfläche kommt, darunter leiden müssen, denn eine Umsiedlung ist nicht möglich. So lernten wir viel über den Konflikt zwischen indigenen Völkern und Staat, sowie über die Kultur und Lebensweise verschiedenster Völker, dessen Tourismusprojekte, um an das nötige Geld zum Leben zu kommen, und über die Ernsthaftigkeit der Bedrohung des Amazonasgebiets. In einem weiteren Workshop lernten wir, wie man Colada Morada zubereitet und verzierten Guaguas de Pan, die man traditionellerweise am 2. November, dem Día de los Difuntos, zusammen isst. So feierten wir nachträglich auch ein bisschen ecuadorianische Kultur. Der letzte Workshop bestand aus einem Tanzkurs mit  Salsa, Bachata und Merengue, womit uns ein weiterer Teil der Kultur nähergebracht wurde. Das vierte Zeitfenster war eine längere Pause, in der wir genug Zeit hatten, uns mit anderen Freiwilligen über unsere Projekte auszutauschen und uns zu vernetzen. Alle waren sehr offen und interessiert an den Projekten der anderen und es war interessant zu hören, was es noch so für Projekte gibt und in welche Städte und Dörfer es die anderen Freiwilligen so verschlagen hat.
Alles in allem hat es uns sehr gut gefallen und wir können die Teilnahme auf jeden Fall empfehlen, denn der Austausch mit anderen Freiwilligen war sehr bereichernd und die Workshops und Vorträge waren sehr informativ und interessant gestaltet, sodass jeder mit Sicherheit etwas für sich daraus mitnehmen konnte.





Freitag, 1. November 2019

Erster Zwischenbericht

Von Weltwärts aus, müssen alle Freiwilligen alle drei Monate einen Zwischenbericht verfassen, hier also mein erster von vier Berichten. Enjoy!



Zu Beginn schien es eine ganz normale Busfahrt zu sein. Wir stiegen in Mompiche in den Reisebus der uns nach einem Wochenende am Strand, mit den Kindern aus den Wohngruppen unserer Arbeitsstelle, wieder nach Ibarra bringen sollte. 7,5 Stunden Busfahrt hatte ich also vor mir. Anfangs saß ich am Gang neben einem Mädchen, welches, mit dem Kopf auf meinen Beinen, versuchte zu schlafen. Ich versuchte anfangs zu lesen, was ich aber aufgrund der Geräuschkulisse im hinteren Teil des Busses schnell wieder aufgab. Nachdem ich dann ein bisschen Kinder bespaßte und ermahnte, sich doch bitte wieder auf ihre Plätze zu setzen, wollte das Mädchen neben mir sich an den Gang setzen. Also ging ich ans Fenster.

Nach kurzer Zeit hatte ich das Bedürfnis das Fenster des Busses ganz aufzumachen und sofort packte mich eine warme Sommerbrise, die meine Haare in den Bus wehte und mein Top wedeln ließ. Ich schaute gedankenverloren dabei zu, wie kleine Dörfer, die berühmten tiendes (Geschäfte am Straßenrand), Wälder, Flüsse, Seen und alles was man sich so noch an Natur vorstellen kann, an mir vorbeizogen. Als ich all diesem schon eine ganze Weile zusah und einfach nur die Natur genoss, überkam mich ein unbeschreibliches Gefühl. Ein Gefühl von vollster Zufriedenheit. Ich hatte in diesem Moment nicht, wie sonst eigentlich immer, das Bedürfnis zu lesen, zu lernen oder sonst etwas produktives zu tun um mich weiterzubilden. Ich schaute einfach nur aus dem Fenster und war glücklich und … es war ok so. Ich bereute es nicht meine Zeit mit sinnlosem Aus dem Fenster schauen zu „vergeuden“, denn das war es nicht. Dieser Moment gab mir so viel und ließ mich über so viel nachdenken, dass die Zeit wahrscheinlich bei weitem wertvoller genutzt wurde, als mit dem Lesen eines historischen Romans auf Spanisch – was eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist, wenn es um Weiterbilden und Lernen geht. Ich starrte mehrere Stunden einfach aus dem Fenster und genoss es, mir die Zeit ganz für mich zu nehmen. Die Natur wirkte so beruhigend auf mich und doch gab sie mir so viel neue Denkanstöße. Ich vergaß alles um mich herum. Das Kindergetümmel, vorbeifahrende Autos und sonstige Geräusche, die mich normalerweise sofort ablenken würden, waren komplett ausgeblendet und die Zeit stand für ein paar Stunden einfach still.

Ich hatte meinen Kopf nicht zu weit aus dem Fenster gestreckt. Immerhin bin ich ja ein Vorbild für die Kinder, aber von verbotenen Handys war nie die Rede. Also knipste ich wie wild mit meiner Innenkamera darauf los, weil meine Außenkamera auf mysteriöse Art und Weise kaputt gegangen ist. Als ich die Bilder danach anschaute, waren sie für die Verrenkungen ganz ok, aber was ich in dem Moment fühlte, kam bei weitem nicht rüber und auch mit der Außenkamera meines Handys oder einem Video wäre das nicht viel anders gewesen. Erstens, weil Bilder nur zweidimensional sind, die Wirklichkeit aber drei Dimensionen hat und zweitens, weil man einfach live dabei gewesen sein muss, um dieses Gefühl zu erleben. Ich knipste immer wieder darauf los, weil ich alles so unglaublich schön fand und zwanghaft festhalten wollte. Beim Anschauen der Bilder stellte ich dann aber immer wieder fest, dass das einfach bei weitem nicht an die Realität herankommt. Generell weiß ich eigentlich schon beim Bilder machen, dass ich mir diese tausenden und abertausenden Bilder, die ich hier schon gemacht habe, sowieso nie wieder alle anschauen werde. Einfach weil man das Gefühl nur im Herzen und nicht auf Fotos festhalten kann. Dieses Gefühl von … Freiheit. Aber was ist das eigentlich genau?

Freiheit wird in der Regel als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können“, sagt Wikipedia. Doch kann das so einfach auf einen Satz heruntergebrochen werden? Und viel wichtiger: Was bedeutet Freiheit für mich ganz konkret? Wikipedia sagt, dass man ohne Zwang, also ohne Einfluss von außen, frei Entscheidungen treffen kann, die man selbst für richtig hält und hinter denen man zu 100% steht, aber dabei muss es gar nicht zwingend keine Regeln geben, denn kann man in den Regeln nicht auch noch selbst bestimmen, welchen Weg man geht und machen worauf man Lust hat? Ist es nicht manchmal sogar sinnvoll Regeln zu haben, die einen den Weg weisen also somit eine unterstützende Funktion haben? Und ist Freiheit nicht auch irgendwie, die perfekte Kombination im Leben zu finden, die perfekte Kombination von Arbeit und Reisen, die sogenannte Work-Life-Balance von der immer alle reden und die als so erstrebenswert gilt. Obwohl perfekt auch wieder so ein schwieriges Wort ist mit dem man aufpassen sollte, denn gibt es diese perfekte Kombination überhaupt? Ist nicht „perfekt“ ein komplett subjektives Empfinden? Hat nicht jeder eine eigene, ganz subjektive Vorstellung, von den Dingen die ihn glücklich machen und die er in seinem Leben haben will?

Fragen über Fragen, die durch meinen Kopf schwirrten als ich da so ganz abwesend aus dem Fenster des Reisebusses schaute und meine Gedanken einfach so kommen und gehen ließ. Und als die Natur so an meinem Fenster vorbeizog, war sie so nah und greifbar und gleichzeitig nahm ich die unendliche Weite war, die die Natur mir bot. Da wurde mir wieder klar, wie groß die Welt doch ist und was für einen kleinen Teil wir doch ausmachen, einen kleinen aber nicht unbedeutenden, sondern wichtigen Teil. Denn egal wie klein der Anteil ist, denn wir auf der Erde beitragen, wenn er nicht da ist, fehlt etwas. Es ist wie ein großes Puzzle, fehlt ein Stück – und ist es noch so klein – ist das Puzzle nicht vollständig.

Plötzlich realisierte ich, dass das in der Natur sein und diese einfach genießen eines dieser Dinge ist, die ich in der Vergangenheit viel zu wenig gemacht habe und die definitiv in meiner ganz persönlichen perfekten Kombination meines Lebens in Zukunft mehr Platz einnehmen soll und auch hoffentlich wird, denn dieser kleine Moment am Fenster hat mir unglaublich viel gegeben und wer weiß was für Erkenntnisse noch in mir schlummern, die auch alle noch entdeckt werden wollen. So ist eine Reise ins Fremde und Unbekannte, eigentlich immer wieder eine Reise zu einem selbst.

In solchen Situationen wird mir dann wieder bewusst, was ich doch für ein Privileg habe, das ich hier gerade meinen Traum leben darf und solche Erkenntnisse habe und mir wird immer mehr bewusst, wie wichtig es ist auch die kleinen und unscheinbaren Dinge zu genießen, weil sie so schnell wieder vorbei sein können, aber doch so wertvoll sind und es schade wäre sie nicht zu beachten und im Herzen mitzunehmen.

Irgendwann machte ich das Fenster wieder zu, weil die Sonne mittlerweile untergegangen war und es im Top langsam echt kalt wurde. Ohne die Brise, die meine Haare in den Bus wehte und mein Top wedeln ließ, war es schon gleich ein ganz anderes Gefühl und der fast schon magische Moment verschwand so schnell wie er gekommen war. Als wäre das Fenster des Busses eine Tür zu einer ganz anderen Welt … einer Welt in der die Gedanken und Gefühle sich frei austoben können. Und auch wenn dieses Gefühl erst mal weg war, die Erinnerungen bleiben in mir und ich bin dem Mädchen neben mir so unendlich dankbar für diesen Moment am Fenster, den ich ohne sie wahrscheinlich nie gehabt hätte, auch wenn sie sich einfach nur einen Vorteil verschaffen wollte, um näher und schneller am Essen zu sein.