Dienstag, 7. Juli 2020

Abschlussbericht


„In diesem Auslandsjahr wirst du richtig viel lernen.“

„Der Freiwilligendienst wird dich so unglaublich bereichern.“

„Danach wirst du wahrscheinlich ein ganz anderer Mensch sein.“

Diese oder so ähnliche Aussagen habe ich vor meiner Abreise immer wieder gehört, sei es von Freunden, meiner Familie oder ehemaligen Freiwilligen. Und ich habe es geglaubt, wirklich! Aber diese Aussagen wurde nie konkreter. Immer hieß es „viel“ und „einiges“, aber was genau wird man denn da so lernen. Ein paar Dinge sind mir im Vorhinein natürlich schon eingefallen, aber ich hatte das Gefühl, dass das noch lange nicht alles sein wird. Natürlich ist das bei jedem auch ganz individuell, denn jeder hat einen anderen Ausgangsstandpunkt, einen anderen Charakter und macht andere Erfahrungen, aber ich war so unglaublich neugierig auf das was dieses Jahr für mich bereithielt. Deshalb hatte ich mir fest vorgenommen während des gesamten Aufenthalts in Ecuador mich selbst ein bisschen zu beobachten und immer wieder zu reflektieren was ich schon alles neu dazu gelernt habe. Hier also nun meine ganz persönlichen Erkenntnisse:


1. Kreativität und Problemlösung

Das ist eine der Sachen, die ich im Voraus nicht geahnt hatte, aber das war tatsächlich eines der ersten Dinge, die ich in Ecuador gelernt habe. Früher habe ich immer gedacht ich bin einfach nicht kreativ. Natürlich gibt es verschiedene Arten und Formen von Kreativität und jeder definiert es wahrscheinlich auch ein bisschen anders, aber ich war einfach nie diejenige, die die coolen Ideen hatte. Ich hatte nie die schönsten Ideen im Kunstunterricht (vielleicht war ich deshalb nie ein Freund dieses Faches in der Schule) und nie die kreativsten Umsetzungsideen. Ich hatte mich schon fast damit abgefunden, doch dann kam ich nach Ecuador. Schnell merkte ich, dass das Leben dort ganz anders ist, nicht unbedingt schlechter, aber meistens einfacher. Hier mal ein paar Beispiele: Schon gleich in Quito merkte ich, dass die Steckdosen in Ecuador nicht die stabilsten sind und wenn man dann auch noch einen schweren Adapter plus Ladegerät hat, wird das ganze schnell wackelig und man kann nichts mehr daran laden. Also klemmte ich kurzerhand meine Wasserflasche und ein paar andere Gegenstände, die ich so fand, unter das Ladegerät um es zu stabilisieren. Nur ein paar Tage später kamen wir in unserer WG in Ibarra an und merkten schnell, dass die Fenster dort nicht wirklich gut abgedichtet sind und bei leichtem Wind sehr laut schepperten. Also griff ich zu meinen Taschentüchern und versuchte sie damit abzudichten. Dadurch, dass wir die Fenster aber ständig auf- und zumachten, war es jetzt nicht die beste Lösung, aber ich war kreativ und sagen wir es mal so: irgendwann gewöhnt man sich an alles. Eines meiner größten Erfolge war aber definitiv das Einbrechen in das Zimmer meiner Mitbewohnerin, um während ihres Urlaubs ihre Pflanzen zu gießen. Da wir keine Zimmerschlüssel hatten, sich die Tür aber sehr leicht bei zu viel Druck selbst zuschließt, bastelte ich mit einem Stück Draht einen Dietrich und nach zwei Stunden war die Tür dann tatsächlich offen. Das sind nur wenige Beispiele für die vielen Situationen, die mir in dieser Zeit begegnet sind und immer habe ich irgendwie eine Lösung dafür gefunden. Also lange Rede kurzer Sinn: ich bin noch lange nicht besonders kreativ, aber ich weiß jetzt, dass es mehr eine Übungs- als eine Talentsache ist und dass man jedes Problem irgendwie und irgendwann lösen kann.

2. Selbstständigkeit

Eine der offensichtlichsten Dinge, aber deshalb trotzdem nicht weniger wahr. Ich war vorher noch nie so lange im Ausland und es war eine komplett neue Erfahrung für mich. Als frisch gebackene Abiturientin ging ich also in ein damals noch unbekanntes Land und musste mich plötzlich um Dinge kümmern, mit denen ich vorher noch nicht so vertraut war. Eine Sache ist natürlich der Haushalt und egal wie viel man zuhause schon mitgeholfen hat, sich komplett alleine um alles zu kümmern ist nochmal eine ganz andere Sache. Ich bin sehr froh, dass ich meine WG-Mitbewohnerinnen hatte, denn so habe ich auch recht schnell die Basics des Kochens gelernt. Eine für Deutschland auch eher unübliche Sache ist es, die Wäsche zum Waschen in einen Waschsalon oder in meinem Fall mit auf die Arbeit zu nehmen, denn wir hatten keine Waschmaschine zuhause. Aber die Sache die mir anfangs am meisten Zeit und Kraft gekostet, war die Wohnungsübergabe. Ich habe noch nie zur Miete gewohnt und wusste nicht genau was man da beim Einzug alles beachten sollte. Da wir dazu einige Probleme hatten, folgten viele lange Gespräche mit der Vermieterin und der Organisation. Aber auch das ließ sich irgendwie klären und ich finde so ein Auslandsjahr bereitet einen auch sehr schön auf das Ausziehen und Studentenleben in Deutschland vor.

3. Spanisch

Auch eine relativ offensichtliche Sache und auch eine der Gründe warum ich dieses Auslandsjahr überhaupt gemacht habe. Da ich anfangs schon ein relativ gutes Sprachniveau hatte, habe ich am Anfang sehr viele Dinge wie z.B. stundenlange Gespräche mit unserer Vermieterin übernommen. Obwohl ich mir noch sehr unsicher war und oft nicht weiterwusste, bin ich im Nachhinein unglaublich froh gerade diese Gespräche geführt zu haben (eine andere Möglichkeit hatte ich auch nicht wirklich), denn dadurch habe ich so unglaublich viel gelernt. Manchmal ist es gut einfach mal ins kalte Wasser geworfen zu werden, um zu lernen wie man wieder rauskommt. Ich hatte lange das Gefühl, dass mein Niveau sich nicht wirklich verbessert, was wahrscheinlich daran lag, dass ich ständig nur gesehen habe wie schnell sich meine Mitbewohner verbesserten und wie viel sie schon in kürzester Zeit dazu gelernt haben. Bei einem höheren Niveau ist aber natürlich auch viel schwieriger sich noch weiter zu verbessern. Deshalb bin ich sehr froh, dass ich jetzt rückblickend deutliche Verbesserungen sehe. Ich habe vor allem viel Alltagsvokabular gelernt (auch wenn ich eine Vokabel erst tausend Mal hören musste bis ich sie mir wirklich gemerkt hatte) und bin durch das ständige Reden und Hören auch viel flüssiger und sicherer geworden. 

4.  Nachfragen

Und zwar völlig egal ob man etwas schon längst wissen sollte oder noch nie davon gehört hat. Gerade auf der Arbeit hatte ich oft das Problem, dass ich nicht genau wusste wie die Dinge dort laufen sollten. Einer meiner Angstmomente war es immer wieder, wenn ich in der Küche allein gelassen wurde. Da ich keine Kocherfahrung hatte, wusste ich nie ob ich beispielweise den Herd schon ausmachen sollte oder nicht. Meiner Erfahrung nach vergessen die Erzieherinnen den Herd oft, wenn sie gerade mit etwas anderem beschäftigt sind, warum also nicht nachfragen, ob man den Herd schon ausmachen kann? Ich hatte oft Angst zu fragen, weil ich dachte, dass ich das schon längst wissen müsste oder kam mir doof vor auch nach einem halben Jahr noch zu fragen, wo denn jetzt nochmal das Waschmittel zu finden ist. Aber was bringt es denn, das Fleisch anbrennen zu lassen oder die Wäsche ausversehen mit Chlor zu waschen? Absolut nichts!! Im Gegenteil, es macht die Situation nur noch schlimmer. Außerdem war nie jemand verärgert, wenn ich nochmal etwas nachgefragt habe was ich unter Umständen eventuell schon hätte wissen können. 

5. Jedes Kind ist individuell

Vor Abreise habe ich mir echt über alles Mögliche den Kopf zerbrochen, aber über eine Sache habe ich verhältnismäßig wenig nachgedacht: den Umgang mit den Kindern. Wie streng sollte ich sein? Was sollte ich ihnen durchgehen lassen und was nicht? Was mache ich, wenn ein Kind nicht mehr weiterläuft? Vor allem letztere Frage habe ich mir während meines Aufenthalts immer wieder gestellt. Aber nie im Voraus. Warum? Gute Frage! Wahrscheinlich dachte ich, dass ich durch meine langjährige Arbeit im Kindergottesdienst und als Begleiterin auf Kinder- und Jugendfreizeiten schon genug Erfahrung gesammelt habe oder ich dachte, dass mir schon gesagt wird wie ich mit den Kindern am besten umgehen sollte. Beides stellte sich als komplett falsch heraus. Und das bekam ich deutlich zu spüren. Mit ein paar Kindern einen Gottesdienst zu gestalten oder mit mehr als einem Dutzend von ihnen den ganzen Tag zu bewältigen stellten sich als zwei völlig verschiedene Dinge heraus. Natürlich war es nochmal etwas ganz anderes, weil die Kinder in Ecuador aus sehr schwierigen sozialen Verhältnissen kommen, aber trotzdem habe ich eine ganz entscheidende Sache gelernt: es gibt keine Allgemeinlösung im Umgang mit Kindern! Lange dachte ich das tatsächlich. Lange habe ich darauf gewartet dieses Geheimnis irgendwann lüften zu können, wenn ich nur gut genug zuhöre und lerne. Aber Kinder sind nun mal keine Kurvendiskussionen, die ich nach einem bestimmten Schema abarbeiten kann, nein jedes einzelne von ihnen ist ein ganz besonderes Individuum. Aber auch wenn es keine Allgemeinlösung gibt, ist zuschauen und von anderen lernen trotzdem nicht verkehrt, ganz im Gegenteil. Obwohl am Ende meines Freiwilligendienstes trotzdem nicht immer alles perfekt lief, bin ich ganz fest der Meinung unglaublich viel dazu gelernt zu haben. Von jetzt an werde ich immer versuchen mich in die Kinder hineinzuversetzen, versuchen ihren Standpunkt zu verstehen und vor allem auch ganz viel Geduld haben. Wenn man über ein halbes Jahr predigt immer „bitte“ zu sagen und dann das Kind es zum ersten Mal ohne Aufforderung von ganz alleine sagt, ist das ein unglaubliches Gefühl, denn plötzlich zahlen sich all die Mühen und Anstrengungen aus. Doch das allerwichtigste darf man nie vergessen: den Kindern bedingungslose Liebe zu schenken! 

6. Ruhe und Gelassenheit

Wenn ich jetzt ganz poetisch wäre, würde ich das überwiegend langsame Gehen der Ecuadorianer als Metapher für ihren ruhigen Charakter bezeichnen, aber so kreativ bin ich dann nun auch wieder nicht. Trotzdem könnte darin ein Fünkchen Wahrheit schlummern. Was bringt es die Dinge schnell und zügig zu machen, aber dafür fehlerhaft. Ist es nicht viel sinnvoller sich für manche Dinge mehr Zeit zu nehmen und sie dann dafür genauer und richtig zu machen? Natürlich kommt es hierbei auf die genaue Situation und den Kontext an, aber ich habe auf jeden Fall gelernt mir immer die Frage zu stellen: Muss es jetzt einfach nur schnell gehen oder ist es mir wichtiger ruhiger und genauer an gewisse Dinge heran zu gehen! 

7. Horizonterweiterung

„Step out of your comfort zone“ hört man immer mal wieder und bei einem Auslandsaufenthalt in einem vorher fremden Land wird man unabdingbar einen Schritt aus der Komfortzone machen müssen. Es gibt so viele neue und spannende Dinge zu erleben, wenn man nur die Augen und Ohren offenhält. Ich habe eine komplett andere Kultur und Gesellschaft kennen gelernt, die ich vorher nur aus Erzählungen und Erfahrungen anderer kannte. In Ecuador herrschen auch ganz andere Lebensverhältnisse, die nicht zwingend schlechter aber eben anders sind. Und genau durch solche persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen habe ich meinen Horizont erweitert. Ich habe mein komplettes Leben lang in Deutschland gewohnt und natürlich auch schon ein paar Reisen in andere Länder und Kontinente unternommen, aber das ist einfach nicht dasselbe wie monatelang in einem fremden Land wirklich zu leben. Und für diese Erfahrungen bin ich unglaublich dankbar. Außerdem wird auch immer wieder davon gesprochen, dass man dadurch das Leben in Deutschland viel mehr zu schätzen weiß und das würde ich so auf jeden Fall unterstreichen, andererseits vermisse ich das einfache ecuadorianische Leben teilweise schon sehr. Die ganze WG mit nassen Klamotten zu dekorieren, weil es keinen Trockner gibt oder mit einer Klopapierrolle auf Wanderschaft zu gehen, weil es keine Taschentücher gibt hat etwas sehr Besonderes, finde ich!

8. Orientierung

Zur Abwechslung mal wieder eine sehr praktische Erkenntnis. Wer mich kennt, weiß dass ich absolut keinen Orientierungssinn habe, aber in Ecuador und vor allem in Ibarra habe ich mich komischerweise sehr schnell zurechtgefunden. Schon nach wenigen Tagen wusste ich den Weg zur Arbeit und zu den wichtigsten Läden auswendig. Und wenn nicht? Dann habe ich den Weg eben einfach gesucht. Da ich öfters Probleme mit meinem Handy hatte und es für kurze Strecken oft gar nicht mitgenommen habe oder alle Hände voll hatte, konnte und wollte ich nicht nachschauen wo es lang geht. Und wenn ich mich mal verlaufen sollte, dann ist das halt so. Davon geht die Welt nicht unter und irgendwie habe ich bis jetzt immer dahin gefunden wo ich hinwollte. Früher hätte ich das nie gemacht. Früher bin ich immer erst alleine wo hin gegangen, wenn ich mir sicher war, dass ich den Weg wusste. Ich weiß nicht woher diese Angst mich zu verlaufen und nicht wieder zurück zu finden oder zu spät zu kommen lag, aber sie war ständig präsent. Doch in Ecuador habe ich ein Vertrauen entwickelt, dass egal was passiert, irgendwie komme ich immer dahin wo ich hinwill. Vielleicht lag es daran, dass ich öfters mal mit Kindern wohin musste, aber nicht genau wusste wo das Gebäude liegt oder der Bus abfährt. Beispielweise musste ich relativ am Anfang meines Dienstes mit einem Kind zu einer Sprachschule, an der sie ein Stipendium für Englisch gewonnen hatte. Es war das erste Mal, deshalb wusste sie nicht wo es liegt (normalerweise sind mir die Kinder eine große Hilfe, weil sie eine sehr gute Orientierung haben). Ich habe zwar eine Adresse bekommen, die sich aber im Endeffekt als falsch herausgestellt hat. Und trotzdem haben wir die Sprachschule noch pünktlich gefunden. Ich erinnere mich auch noch sehr deutlich an eine Situation, die noch gar nicht so lange her ist. Ich musste mit einem Mädchen zum Arzt und das Kind war noch so klein, dass ich mich auf ihre Wegbeschreibung nicht verlassen konnte. Obwohl ich noch nie zuvor bei diesem Arzt war, haben wir ihn trotzdem gefunden. Beim Zurückfahren sind wir allerdings in den falschen Bus eingestiegen bzw. nicht in den falschen Bus aber in die falsche Richtung. Passiert. Ist aber kein Drama. Dann sind wir halt einmal durch die ganze Stadt gefahren bevor wir am Kinderheim ankamen. Ich will zwar nicht wissen was der Busfahrer sich dabei gedacht hat, aber ich habe es geschafft. Und selbst wenn ich irgendwann auch mal den falschen Bus genommen hätte, wäre auch das nicht weiter tragisch gewesen. Das Mädchen ist irgendwann im Bus eingeschlafen und hat von alle dem herzlich wenig mitbekommen und selbst wenn, hätte sie zumindest eine lustige Geschichte zum Erzählen gehabt. Also auch hier, hatte es für mich nur Vorteile mal ein bisschen ins kalte Wasser geworfen worden zu sein. 

9. Spontaneität

Und auch hier wieder: wer mich kennt, weiß dass ich immer alles von vorne bis hinten genau durchplane und das auch gerne tue. In Ecuador habe ich allerdings schnell gemerkt, dass das nahezu unmöglich ist. Das zu akzeptieren und ein bisschen Spontaneität zuzulassen hat bei mir sehr lange gedauert und ich hatte lange damit zu kämpfen, aber ich glaube inzwischen kann ich sagen, dass ich zwar immer noch der Planungsmensch bin, aber ich bin auch definitiv spontaner geworden, einfach weil ich gemerkt habe, dass man nicht immer alles bis ins kleinste Detail planen kann. Das merkt man sehr schnell, wenn man sich mit den ecuadorianischen Busfahrplänen beschäftigt – die nicht existieren. Es bleibt einem also nichts anderes übrig als sich einfach an die Straße zu stellen und zu warten bis der nächste Bus kommt und zu hoffen, dass das dann auch noch der richtige ist. Schon alleine dadurch kann man seine Ankunftszeit kaum planen, aber die meisten Ecuadorianer nehmen das mit der Pünktlichkeit sowieso nicht so ernst. Es kam auch schon vor, dass wir an einem Sonntagnachmittag in Mindo standen und feststellen mussten, dass der letzte Bus für den Tag keine Sitzplätze mehr übrighat, wir aber am nächsten Tag wieder arbeiten mussten. Selbst in solchen scheinbar aussichtslosen Situationen haben wir immer wieder eine Lösung gefunden. Auch wenn es viel Überzeugungskraft gekostet hat und die stundenlange Reise bequemer hätte sein können, haben wir es trotzdem rechtzeitig nach Ibarra geschafft. Diese und viele ähnliche Situationen haben mir immer wieder bewiesen, dass es immer eine Lösung gibt, man muss nur lange genug suchen! 

10. Dankbarkeit

Das Gefühl, welches ich in diesen acht unglaublichen Monaten definitiv am Meisten verspürt habe. Egal wie etwas ausging oder was passierte, ich war immer dankbar das alles überhaupt erlebt haben zu dürfen. Natürlich bin ich unglaublich traurig, dass ich statt zwölf nur acht Monate in Ecuador verbringen durfte, aber noch mehr spüre ich Dankbarkeit, dass ich diese acht Monate überhaupt erleben durfte, denn die Zeit, die ich dort verbringen durfte war einfach unvergesslich. Und warum sollte ich mich über vier fehlende Monate ärgern, wenn ich mich genauso gut über acht tolle Monate freuen kann. Deshalb gehört Dankbarkeit auch zu einer der Dinge die ich in Ecuador gelernt habe. Einfach mal dankbar sein für all die Möglichkeiten und Türen, die uns offen stehen. Dankbar sein für das Privileg, das wir haben. Und dankbar für alles was wir schon in unserem Leben lernen und erleben durften!


Dies ist nur eine kleine Auswahl an Erkenntnissen, die ich während meines Freiwilligendienstes lernen durfte. Ich könnte noch viel mehr aufzählen, aber das würde den Rahmen hier sprengen und darum geht es auch gar nicht. Es geht nicht darum, wie viele Erkenntnisse wer gesammelt hat, sondern darum, sein Leben immer mal wieder zu reflektieren und erstaunt festzustellen wie weit man schon gekommen ist und was man alles schon geschafft hat. Ein Freiwilligendienst oder Auslandsjahr ist eine super Gelegenheit das zu tun, da man sehr viele neue Eindrücke bekommt, aber das kann man genauso gut im „normalen“ alltäglichen Leben tun. Nehmt euch doch einfach mal die Zeit, setzt euch hin, nehmt Papier und Stift zur Hand und lasst die letzten Tage, Wochen oder Monate Revue passieren. Ihr werdet erstaunt sein, was sich da alles so finden lässt. Ich hätte im Leben nicht gedacht, dass ich in diesen acht Monaten so viel lernen würde. Durch das Schreiben dieses Berichts habe ich mir viele meiner Erkenntnisse wieder in Erinnerung gerufen und das kann ich euch auch nur wärmstens empfehlen, denn im stressigen Alltag verlieren diese sich manchmal ein bisschen. Denn die wichtigste Sache, die ich gelernt habe ist, mich selbst nie aufzugeben und stetig an mir zu arbeiten.



Verfrühte Ausreise

Jetzt bin ich schon über 3 Monate wieder in Deutschland. Ich habe mich hier endlich wieder eingelebt und blicke nach vorne. Doch bis hierher war es ein weiter und schwerer Weg, deshalb möchte ich hier die Wochen vor und direkt nach meiner leider viel zu frühen Ausreise aus Ecuador zusammenfassen.

Im Laufe des Februars wurde das Thema des Coronavirus immer größer, sodass auch wir irgendwann davon zu hören bekamen. Während sich der Virus über Europa ausbreitete, wurde Ecuador anfangs noch verschont. Sorgen machte ich mir vor allem um die Anreise der neuen italienischen Freiwilligen die Anfang März bevor stand. Während es in Ecuador noch keinen einzigen Fall gab, explodierten die Zahlen in Italien förmlich. Auch wenn die Kinder und Jugendlichen in den Kinderheimen immer wieder Scherze über den neuen Virus machten, merkte man ihnen ein gewisses Unwohlsein an als die Anreise der Italiener anstand. Als die Italiener dann kamen, haben wir sie natürlich trotzdem herzlich aufgenommen, unsere Arbeit vorgestellt und die nächsten Tage haben sie je zu zweit alle Kinderheime besucht. Sie durften sich also ohne jegliche Quarantäne oder Test frei bewegen und ihre zukünftigen Arbeitsstellen besuchen. Doch noch bevor sie wirklich mit dem Arbeiten anfingen, mussten sie auch schon wieder ausreisen. Die Besorgnis stieg darauf hin rapide an.

Danach ging alles so unglaublich schnell, dass ich es kaum verarbeiten konnte. Noch bevor es den ersten Coronafall in Ecuador gab, wurden die Schulen und Kindergärten dicht gemacht und Großveranstaltungen verboten. Am Anfang kamen mir die Maßnahmen zu schnell und voreilig vor, doch schnell wurde mir klar, dass Ecuador überhaupt keine andere Wahl hatte, denn das Gesundheitssystem war und ist auf eine solche Pandemie nicht vorbereitet.
Es kamen immer mehr Nachrichten von Freunden und von unserer Arbeit, Diskussionen über den Virus und die derzeitige Lage, Warnungen und gut gemeinte Ratschläge lieber zu Hause zu bleiben und so wenig wie möglich aus dem Haus zu gehen. Schnell sickerte auch die Nachricht durch, dass ab Dienstag dem 17.03. der komplette öffentliche Verkehr eingestellt wird und Ecuador die Grenzen dicht machen wird. Auch über eine erneute Ausgangssperre wurde diskutiert. Wir machten uns also auf eine ähnliche Situation wie im Oktober gefasst und fingen an, Listen zu schreiben, was wir dann in unserer Wohnung alles Schönes machen könnten. Später skypten wir noch mit unserer Organisation und wurden darauf aufmerksam gemacht, dass wir ausreisen können aber nicht müssen. Schnell waren wir uns einig zu bleiben. So eine Situation wie die Unruhen im Oktober würden wir noch einmal überstehen und außerdem hatten wir doch noch so viele Pläne...
Noch am selben Abend gab es ein Erdbeben der Stärke 5.0, was wir alle deutlich zu spüren bekamen. Wenige Sekunden später standen wir alle im Flur und vergewisserten uns, dass es allen gut ging. Ab diesem Zeitpunkt hatten wir alle ein mulmiges Gefühl und irgendwie wussten wir, dass das Erdbeben in nächster Zeit unser kleinstes Problem sein wird. Und wir sollten Recht behalten... Das Erdbeben kam uns vor wie eine Vorwarnung oder auch ein schlechtes Omen.

Schon am nächsten Tag war nichts mehr wie es einmal war. Der 16. März 2020, der Tag den ich nie vergessen werde. Auf 8 Uhr ging ich zum wöchentlichen Planungstreffen auf die Arbeit. Mir ging es gar nicht gut, doch ich kämpfe mich trotzdem in das Kinderheim. Dort wurde dann aber so viel auf mich eingeredet, das ich mich schließlich ergab und auf den Heimweg machte um mich auszukurieren. Eine Sache, die ich bis heute zutiefst bereue und ich mir wahrscheinlich noch sehr lange vorhalten werde. Aber in diesem Moment ahnte ich noch nicht, das dies mein letzter Arbeitstag war. Ich legte mich zuhause ins Bett und bekam nichts mehr mit von all dem Trubel der plötzlich ausbrach. Meine Mitfreiwilligen bekamen die Nachricht, dass sie sofort ihre Koffer packen mussten und sich auf den Weg Richtung Flughafen machen sollten. Wie gerne ich in diesem Moment bei ihnen gewesen wäre um mich gemeinsam mit ihnen von den Kindern und dem gesamten Personal der Fundación zu verabschieden, denn das konnte ich leider nicht mehr tun. Während meine Mitfreiwilligen sich in den nächsten Stunden also von allen verabschiedeten und die Nachricht langsam verdauten, lag ich immer noch nichts ahnend in meinem Bett. Als sie dann heim kamen und mich einweihten traf mich alles auf einmal wie ein Schlag. Passiert das gerade wirklich? Träume ich? Ich war wie erstarrt und wusste nicht wie ich reagieren sollte. Ich verstand das alles nicht und hatte so viele Fragen. Als ich dann gefragt wurde, wie es mir ging, brach ich in Tränen aus und hörte den ganzen Tag nicht mehr auf. Doch für Trauer war nicht viel Zeit, denn alles musste ganz schnell gehen. Wir beeilten uns also um uns zumindest noch von unserer besten Freundin und von unseren Nachbarn zu verabschieden, die uns in den letzten 7,5 Monaten sehr ans Herz gewachsen sind. Dann ging es ans Packen. Um 17 Uhr sollte uns unsere Chefin zum Flughafen fahren, bis dahin mussten wir also fertig sein. Ich war völlig überfordert und wusste gar nicht wo ich anfangen sollte. Wir wuselten alle komplett verloren durch die Wohnung und wussten alle nicht so recht wohin mit uns. Irgendwie schafften wir es alles einzupacken und unsere Erinnerungen an eine wunderschöne Zeit von den Wänden zu nehmen. Kurz bevor unsere Chefin kam, schrieb unser Ansprechpartner unserer Organisation in Deutschland, dass wir lieber noch eine Nacht in Ibarra bleiben sollten, weil es an dem Tag keinen Flug mehr für uns gab. Also gingen wir noch ein letztes Mal ecuadorianisch Essen und bauten dann ein Schlaflager auf, weil niemand diese letzte Nacht alleine verbringen wollte.

Die nächsten zwei Wochen verbrachten wir dann auch noch in Ibarra, weil sich der Flug noch etwas herauszog und wir den anderen Freiwilligen in Quito nicht so lange auf der Pelle sitzen wollten. Immer wieder überlegten wir die Koffer wieder auszupacken, weil es so aussah als würden wir in nächster Zeit keinen Flug mehr bekommen, doch wir wussten, dass die Nachricht jede Sekunde kommen könnte und dann musste alles ganz schnell gehen, also blieben die Koffer im Flur stehen und die Wände leer. Immer wieder kamen Nachrichten von anderen Freiwilligen, die sich selbst Flüge gesucht haben, doch wir sollten das nicht tun, also hielten wir uns an die Vorgaben unserer Organisation. Plötzlich wurden auch die Grenzen zwischen den Provinzen zugemacht, weshalb die Frage schon nach Quito zu fahren, wieder aufkam. Da merkten wir, das die Meinungen innerhalb der WG sehr auseinender gingen und wir unterschiedliche Ziele hatten. Während eine jetzt unbedingt nach Hause wollte, hatte ich immer noch Hoffnung vielleicht doch noch in Ecuador bleiben zu können. Mir kam es so surreal vor, schon gehen zu müssen und ich wollte den Abreisetermin so weit wie möglich nach hinten verschieben.

Obwohl wir uns alle sehr gut verstanden haben und zu guten Freundinnen geworden sind, waren diese zwei Wochen ecuadorianische Quarantäne eine große Zerreißprobe, denn wir hatten uns oft in den Haaren und alle waren nur noch genervt von der neuen Situation. Außerdem wussten wir nicht wirklich, was wir mit uns anfangen sollten. Einen Tag verbrachten wir bei unserer Freundin und malten Mandalas, sonst lagen wir oft auf unserer Terrasse und genossen die letzten ecuadorianischen Sonnenstrahlen, eine Mitfreiwillige versuchte sich Jonglieren beizubringen und ich versuchte das ecuadorianische Netflix noch ein bisschen auszunutzen und fing außerdem an Workouts zu machen um mich abzulenken. Auf die Arbeit konnten wir leider nicht mehr, weil den Kindern gesagt wurde, dass wir schon abgereist sind. Nach draußen konnten wir aufgrund der Ausgangssperre, die von ursprünglich 21 Uhr erst auf 19 Uhr und dann auf 14 Uhr verlegt wurde, auch nicht wirklich. Man durfte also von 14 Uhr bis 5 Uhr am nächsten Tag die Wohnung unter keinen Umständen verlassen und sonst auch nur zum Einkaufen raus. Zum Lesen oder Blog schreiben hatten wir alle keine Kraft und keine Konzentration. Die meiste Zeit liefen wir aber planlos durch die Wohnung oder verlierten uns in unseren Gedanken.

Nach ein paar Tagen wurde Ecuador auf die Liste der Rückholflüge der deutschen Bundesregierung gesetzt. An diesem Tag starb meine Hoffnung hier zu bleiben komplett. Im Laufe der nächsten Tage füllten wir alle möglichen Formulare aus um auf verschiedene Listen zu kommen um dann hoffentlich in einem der Rückholflüge einen Platz zu bekommen. Außerdem wurden uns noch einige andere Dokumente wie ein Konsulargesetz und Passierscheine geschickt, die wir brav ausdruckten und ausfüllten. Darauf folgten fast tägliche Emails vom Auswärtigen Amt mit neuen Flugdaten. Anfangs wurden aber vor allem Touristen, Kleinkinder und ältere Menschen bevorzugt. Teilweise sah es so aus, als würden wir überhaupt keinen Flug mehr bekommen. Irgendwann wurde klar, dass der letzte Flug nach Deutschland am 27. März stattfindet. Wir meldeten uns dafür an, bekamen aber keine Rückmeldung.

Zwei Tage vorher wurden wir um 3 Uhr morgens durch einen Anruf unserer Organisation geweckt. Sie meinten, dass wir wahrscheinlich am Freitag fliegen können und uns am Besten sofort auf den Weg nach Quito machen sollten. Nach ein paar Gesprächen stellen wir fest, dass es wenig Sinn machte mitten in der Nacht zu fahren. Wir standen also recht früh auf, packten den Rest zusammen und machten die Wohnung sauber. Mittlerweile gab es schon wieder eine aktualisierte Version von den Passierscheinen, also druckten wir diese noch aus, verabschiedeten uns ein weiteres Mal von unserer besten Freundin und unserer Chefin und stiegen in das von unserer Chefin extra herbestellte Taxi, immer noch ohne jegliche Bestätigung für den Flug. Als wir ein letztes Mal durch die Straßen Ibarras fuhren und wussten, dass wir vorerst nicht wieder hierher kommen würden, tat das sehr weh, weil wir uns sehr in unsere zweite Heimat verliebt haben. Da der Verkehr sehr eingeschränkt war, kamen wir schnell nach Quito, nur mit der Fahrweise des Fahrers kamen wir nicht ganz so gut klar. Da wir sehr früh aufgebrochen sind und vor der Ausgangssperre in Quito waren, hatten wir keine großen Probleme und wurden auch nicht kontrolliert. Dafür wurden die Autos an den Grenzen der Provinzen von außen mit Desinfektionsmittel eingesprüht.

In Quito angekommen redeten wir lange mit unseren Mitfreiwilligen über die aktuelle Situation und abends bekamen wir alle dann endlich die Bestätigung für den Flug am Freitag. Zwei Tage später war es also wirklich so weit. Obwohl wir doch ein bisschen Zeit hatten und wussten, dass der Tag irgendwann kommen musste, fühlte es sich für mich immer noch sehr unwirklich an. Wir wurden von der Chefin der Freiwilligen aus Quito zum Flughafen gefahren und bekamen von ihr auch Masken und Handschuhe, die wir verpflichtend tragen mussten. Am Flughafen mussten wir sehr lange warten und anstehen, obwohl es an dem ganzen Tag nur noch einen anderen Flug gab. Wir mussten oft unseren Passierschein zeigen, unsere Listennummer angeben und an jeder Ecke unsere Handschuhe in Desinfektionsmittel tränken, was ich, mit Koffer und wichtigen Papieren in der Hand, als große Herausforderung empfand. In einzelnen Gruppe durften wir ins Flugzeug und mussten auch die ganze Zeit, außer zum Essen, die Maske tragen, da jeder Sitz besetzt war. Nach 3 Stunden machten wir einen Stopp in Punta Cana, Dominikanische Republik, um das Flugzeug zu betanken, da es das in Ecuador anscheinend nicht durfte. Von dort aus ging es dann aber direkt nach Frankfurt, was den großen Vorteil hatte, dass wir nicht umsteigen mussten und somit keinen Anschlussflug verpassen konnten, was wir bei unseren regulären Flug im August schon befürchteten.

Am nächsten Morgen kamen wir dann endlich in Frankfurt an. Da die Reihen aber alle einzeln aussteigen mussten und wir sehr weit hinten saßen, dauerte alles sehr lange. Am Flughafen merkte man direkt einen heftigen Unterschied, denn plötzlich waren überall auf dem Boden Markierungen wie weit man gehen durfte und außerdem trug kaum einer eine Maske, was zu einem sehr ungewohnten Bild geworden ist. Bei der Gepäckannahme trennten sich dann unsere Wege. Die Leute, die in kürzester Zeit von Fremden zu sehr guten Freundinnen geworden sind, waren plötzlich nicht mehr die ganze Zeit da, sondern mussten in ganz andere Richtungen, weil wir sieben Freiwillige komplett verteilt über Deutschland wohnen. Doch in dem Stress des Gepäcksuchens wurde der Moment sehr entzerrt, weil jeder mit sich selbst und der Weiterreise zu tun hatte.

Seit Ende März bin ich jetzt also schon wieder in Deutschland. Mittlerweile kann ich tatsächlich sagen, dass ich mich wieder gefangen und eingelebt habe. Ich blick nach vorne und habe auch schon wieder einiges zu tun. Doch bis dahin war es ein langer Weg. Als ich vor mehr als drei Monaten hier ankam wirkte alles so fremd und doch vertraut. Ich wusste überhaupt nicht mehr wo oben und wo unten ist und konnte mich auf absolut nichts konzentrieren. Meine Gedanken drehten sich im Kreis und ich schwebte in Erinnerungen. Ich hatte so viel Zeit und wollte so viel schaffen, doch es klappte einfach nicht, was mich noch verzweifelter machte. Noch dazu musste ich für mindestens zwei Wochen in Quarantäne und konnte überhaupt nicht raus. Ich hatte nie einen großem Drang raus zu gehen und konnte mich schon immer gut selbst zuhause beschäftigen, aber in dieser Zeit habe ich gemerkt wie dringend ich auch einfach mal raus musste um frische Luft zu schnappen und nicht immer auf die selben vier Wände zu blicken. Auch nach den zwei Wochen ging ich kaum raus, weil ich einfach nicht wusste wohin ich sollte. Es war ein unglaublich komisches Gefühl wieder in Deutschland zu sein, aber niemanden sehen zu können. Vielleicht hätte es mir geholfen meine Freunde wieder zu sehen, aber ich wollte kein Risiko eingehen und blieb deshalb brav zuhause, auch als ich sah, dass viele andere schon wieder anfingen sich mit ihren Freunden zu treffen. Ich versuchte mich abzulenken, half im Garten, machte viel Sport und schaute Serien. Schritt für Schritt kam ich immer mehr an, auch wenn ich an manchen Tagen zu absolut nichts zu gebrauchen war. Irgendwann konnte ich mich auch wieder auf das Lesen konzentrieren, fing an Sachen für die Uni vorzubereiten und brachte mir sogar selbst Latein bei. Vor kurzem konnte ich mich dann endlich wieder mit meinen Freunden treffen und habe sogar meine Mitfreiwilligen schon wieder sehen können. Ich merke also, dass ich immer mehr loslassen kann und mich wieder mehr auf meine Zukunft konzentriere. Jetzt bin ich an einem Punkt, an dem ich mit einem Lächeln im Gesicht an Ecuador zurückdenken kann und einfach so unendlich dankbar für die Zeit dort bin!