Dienstag, 7. Juli 2020

Verfrühte Ausreise

Jetzt bin ich schon über 3 Monate wieder in Deutschland. Ich habe mich hier endlich wieder eingelebt und blicke nach vorne. Doch bis hierher war es ein weiter und schwerer Weg, deshalb möchte ich hier die Wochen vor und direkt nach meiner leider viel zu frühen Ausreise aus Ecuador zusammenfassen.

Im Laufe des Februars wurde das Thema des Coronavirus immer größer, sodass auch wir irgendwann davon zu hören bekamen. Während sich der Virus über Europa ausbreitete, wurde Ecuador anfangs noch verschont. Sorgen machte ich mir vor allem um die Anreise der neuen italienischen Freiwilligen die Anfang März bevor stand. Während es in Ecuador noch keinen einzigen Fall gab, explodierten die Zahlen in Italien förmlich. Auch wenn die Kinder und Jugendlichen in den Kinderheimen immer wieder Scherze über den neuen Virus machten, merkte man ihnen ein gewisses Unwohlsein an als die Anreise der Italiener anstand. Als die Italiener dann kamen, haben wir sie natürlich trotzdem herzlich aufgenommen, unsere Arbeit vorgestellt und die nächsten Tage haben sie je zu zweit alle Kinderheime besucht. Sie durften sich also ohne jegliche Quarantäne oder Test frei bewegen und ihre zukünftigen Arbeitsstellen besuchen. Doch noch bevor sie wirklich mit dem Arbeiten anfingen, mussten sie auch schon wieder ausreisen. Die Besorgnis stieg darauf hin rapide an.

Danach ging alles so unglaublich schnell, dass ich es kaum verarbeiten konnte. Noch bevor es den ersten Coronafall in Ecuador gab, wurden die Schulen und Kindergärten dicht gemacht und Großveranstaltungen verboten. Am Anfang kamen mir die Maßnahmen zu schnell und voreilig vor, doch schnell wurde mir klar, dass Ecuador überhaupt keine andere Wahl hatte, denn das Gesundheitssystem war und ist auf eine solche Pandemie nicht vorbereitet.
Es kamen immer mehr Nachrichten von Freunden und von unserer Arbeit, Diskussionen über den Virus und die derzeitige Lage, Warnungen und gut gemeinte Ratschläge lieber zu Hause zu bleiben und so wenig wie möglich aus dem Haus zu gehen. Schnell sickerte auch die Nachricht durch, dass ab Dienstag dem 17.03. der komplette öffentliche Verkehr eingestellt wird und Ecuador die Grenzen dicht machen wird. Auch über eine erneute Ausgangssperre wurde diskutiert. Wir machten uns also auf eine ähnliche Situation wie im Oktober gefasst und fingen an, Listen zu schreiben, was wir dann in unserer Wohnung alles Schönes machen könnten. Später skypten wir noch mit unserer Organisation und wurden darauf aufmerksam gemacht, dass wir ausreisen können aber nicht müssen. Schnell waren wir uns einig zu bleiben. So eine Situation wie die Unruhen im Oktober würden wir noch einmal überstehen und außerdem hatten wir doch noch so viele Pläne...
Noch am selben Abend gab es ein Erdbeben der Stärke 5.0, was wir alle deutlich zu spüren bekamen. Wenige Sekunden später standen wir alle im Flur und vergewisserten uns, dass es allen gut ging. Ab diesem Zeitpunkt hatten wir alle ein mulmiges Gefühl und irgendwie wussten wir, dass das Erdbeben in nächster Zeit unser kleinstes Problem sein wird. Und wir sollten Recht behalten... Das Erdbeben kam uns vor wie eine Vorwarnung oder auch ein schlechtes Omen.

Schon am nächsten Tag war nichts mehr wie es einmal war. Der 16. März 2020, der Tag den ich nie vergessen werde. Auf 8 Uhr ging ich zum wöchentlichen Planungstreffen auf die Arbeit. Mir ging es gar nicht gut, doch ich kämpfe mich trotzdem in das Kinderheim. Dort wurde dann aber so viel auf mich eingeredet, das ich mich schließlich ergab und auf den Heimweg machte um mich auszukurieren. Eine Sache, die ich bis heute zutiefst bereue und ich mir wahrscheinlich noch sehr lange vorhalten werde. Aber in diesem Moment ahnte ich noch nicht, das dies mein letzter Arbeitstag war. Ich legte mich zuhause ins Bett und bekam nichts mehr mit von all dem Trubel der plötzlich ausbrach. Meine Mitfreiwilligen bekamen die Nachricht, dass sie sofort ihre Koffer packen mussten und sich auf den Weg Richtung Flughafen machen sollten. Wie gerne ich in diesem Moment bei ihnen gewesen wäre um mich gemeinsam mit ihnen von den Kindern und dem gesamten Personal der Fundación zu verabschieden, denn das konnte ich leider nicht mehr tun. Während meine Mitfreiwilligen sich in den nächsten Stunden also von allen verabschiedeten und die Nachricht langsam verdauten, lag ich immer noch nichts ahnend in meinem Bett. Als sie dann heim kamen und mich einweihten traf mich alles auf einmal wie ein Schlag. Passiert das gerade wirklich? Träume ich? Ich war wie erstarrt und wusste nicht wie ich reagieren sollte. Ich verstand das alles nicht und hatte so viele Fragen. Als ich dann gefragt wurde, wie es mir ging, brach ich in Tränen aus und hörte den ganzen Tag nicht mehr auf. Doch für Trauer war nicht viel Zeit, denn alles musste ganz schnell gehen. Wir beeilten uns also um uns zumindest noch von unserer besten Freundin und von unseren Nachbarn zu verabschieden, die uns in den letzten 7,5 Monaten sehr ans Herz gewachsen sind. Dann ging es ans Packen. Um 17 Uhr sollte uns unsere Chefin zum Flughafen fahren, bis dahin mussten wir also fertig sein. Ich war völlig überfordert und wusste gar nicht wo ich anfangen sollte. Wir wuselten alle komplett verloren durch die Wohnung und wussten alle nicht so recht wohin mit uns. Irgendwie schafften wir es alles einzupacken und unsere Erinnerungen an eine wunderschöne Zeit von den Wänden zu nehmen. Kurz bevor unsere Chefin kam, schrieb unser Ansprechpartner unserer Organisation in Deutschland, dass wir lieber noch eine Nacht in Ibarra bleiben sollten, weil es an dem Tag keinen Flug mehr für uns gab. Also gingen wir noch ein letztes Mal ecuadorianisch Essen und bauten dann ein Schlaflager auf, weil niemand diese letzte Nacht alleine verbringen wollte.

Die nächsten zwei Wochen verbrachten wir dann auch noch in Ibarra, weil sich der Flug noch etwas herauszog und wir den anderen Freiwilligen in Quito nicht so lange auf der Pelle sitzen wollten. Immer wieder überlegten wir die Koffer wieder auszupacken, weil es so aussah als würden wir in nächster Zeit keinen Flug mehr bekommen, doch wir wussten, dass die Nachricht jede Sekunde kommen könnte und dann musste alles ganz schnell gehen, also blieben die Koffer im Flur stehen und die Wände leer. Immer wieder kamen Nachrichten von anderen Freiwilligen, die sich selbst Flüge gesucht haben, doch wir sollten das nicht tun, also hielten wir uns an die Vorgaben unserer Organisation. Plötzlich wurden auch die Grenzen zwischen den Provinzen zugemacht, weshalb die Frage schon nach Quito zu fahren, wieder aufkam. Da merkten wir, das die Meinungen innerhalb der WG sehr auseinender gingen und wir unterschiedliche Ziele hatten. Während eine jetzt unbedingt nach Hause wollte, hatte ich immer noch Hoffnung vielleicht doch noch in Ecuador bleiben zu können. Mir kam es so surreal vor, schon gehen zu müssen und ich wollte den Abreisetermin so weit wie möglich nach hinten verschieben.

Obwohl wir uns alle sehr gut verstanden haben und zu guten Freundinnen geworden sind, waren diese zwei Wochen ecuadorianische Quarantäne eine große Zerreißprobe, denn wir hatten uns oft in den Haaren und alle waren nur noch genervt von der neuen Situation. Außerdem wussten wir nicht wirklich, was wir mit uns anfangen sollten. Einen Tag verbrachten wir bei unserer Freundin und malten Mandalas, sonst lagen wir oft auf unserer Terrasse und genossen die letzten ecuadorianischen Sonnenstrahlen, eine Mitfreiwillige versuchte sich Jonglieren beizubringen und ich versuchte das ecuadorianische Netflix noch ein bisschen auszunutzen und fing außerdem an Workouts zu machen um mich abzulenken. Auf die Arbeit konnten wir leider nicht mehr, weil den Kindern gesagt wurde, dass wir schon abgereist sind. Nach draußen konnten wir aufgrund der Ausgangssperre, die von ursprünglich 21 Uhr erst auf 19 Uhr und dann auf 14 Uhr verlegt wurde, auch nicht wirklich. Man durfte also von 14 Uhr bis 5 Uhr am nächsten Tag die Wohnung unter keinen Umständen verlassen und sonst auch nur zum Einkaufen raus. Zum Lesen oder Blog schreiben hatten wir alle keine Kraft und keine Konzentration. Die meiste Zeit liefen wir aber planlos durch die Wohnung oder verlierten uns in unseren Gedanken.

Nach ein paar Tagen wurde Ecuador auf die Liste der Rückholflüge der deutschen Bundesregierung gesetzt. An diesem Tag starb meine Hoffnung hier zu bleiben komplett. Im Laufe der nächsten Tage füllten wir alle möglichen Formulare aus um auf verschiedene Listen zu kommen um dann hoffentlich in einem der Rückholflüge einen Platz zu bekommen. Außerdem wurden uns noch einige andere Dokumente wie ein Konsulargesetz und Passierscheine geschickt, die wir brav ausdruckten und ausfüllten. Darauf folgten fast tägliche Emails vom Auswärtigen Amt mit neuen Flugdaten. Anfangs wurden aber vor allem Touristen, Kleinkinder und ältere Menschen bevorzugt. Teilweise sah es so aus, als würden wir überhaupt keinen Flug mehr bekommen. Irgendwann wurde klar, dass der letzte Flug nach Deutschland am 27. März stattfindet. Wir meldeten uns dafür an, bekamen aber keine Rückmeldung.

Zwei Tage vorher wurden wir um 3 Uhr morgens durch einen Anruf unserer Organisation geweckt. Sie meinten, dass wir wahrscheinlich am Freitag fliegen können und uns am Besten sofort auf den Weg nach Quito machen sollten. Nach ein paar Gesprächen stellen wir fest, dass es wenig Sinn machte mitten in der Nacht zu fahren. Wir standen also recht früh auf, packten den Rest zusammen und machten die Wohnung sauber. Mittlerweile gab es schon wieder eine aktualisierte Version von den Passierscheinen, also druckten wir diese noch aus, verabschiedeten uns ein weiteres Mal von unserer besten Freundin und unserer Chefin und stiegen in das von unserer Chefin extra herbestellte Taxi, immer noch ohne jegliche Bestätigung für den Flug. Als wir ein letztes Mal durch die Straßen Ibarras fuhren und wussten, dass wir vorerst nicht wieder hierher kommen würden, tat das sehr weh, weil wir uns sehr in unsere zweite Heimat verliebt haben. Da der Verkehr sehr eingeschränkt war, kamen wir schnell nach Quito, nur mit der Fahrweise des Fahrers kamen wir nicht ganz so gut klar. Da wir sehr früh aufgebrochen sind und vor der Ausgangssperre in Quito waren, hatten wir keine großen Probleme und wurden auch nicht kontrolliert. Dafür wurden die Autos an den Grenzen der Provinzen von außen mit Desinfektionsmittel eingesprüht.

In Quito angekommen redeten wir lange mit unseren Mitfreiwilligen über die aktuelle Situation und abends bekamen wir alle dann endlich die Bestätigung für den Flug am Freitag. Zwei Tage später war es also wirklich so weit. Obwohl wir doch ein bisschen Zeit hatten und wussten, dass der Tag irgendwann kommen musste, fühlte es sich für mich immer noch sehr unwirklich an. Wir wurden von der Chefin der Freiwilligen aus Quito zum Flughafen gefahren und bekamen von ihr auch Masken und Handschuhe, die wir verpflichtend tragen mussten. Am Flughafen mussten wir sehr lange warten und anstehen, obwohl es an dem ganzen Tag nur noch einen anderen Flug gab. Wir mussten oft unseren Passierschein zeigen, unsere Listennummer angeben und an jeder Ecke unsere Handschuhe in Desinfektionsmittel tränken, was ich, mit Koffer und wichtigen Papieren in der Hand, als große Herausforderung empfand. In einzelnen Gruppe durften wir ins Flugzeug und mussten auch die ganze Zeit, außer zum Essen, die Maske tragen, da jeder Sitz besetzt war. Nach 3 Stunden machten wir einen Stopp in Punta Cana, Dominikanische Republik, um das Flugzeug zu betanken, da es das in Ecuador anscheinend nicht durfte. Von dort aus ging es dann aber direkt nach Frankfurt, was den großen Vorteil hatte, dass wir nicht umsteigen mussten und somit keinen Anschlussflug verpassen konnten, was wir bei unseren regulären Flug im August schon befürchteten.

Am nächsten Morgen kamen wir dann endlich in Frankfurt an. Da die Reihen aber alle einzeln aussteigen mussten und wir sehr weit hinten saßen, dauerte alles sehr lange. Am Flughafen merkte man direkt einen heftigen Unterschied, denn plötzlich waren überall auf dem Boden Markierungen wie weit man gehen durfte und außerdem trug kaum einer eine Maske, was zu einem sehr ungewohnten Bild geworden ist. Bei der Gepäckannahme trennten sich dann unsere Wege. Die Leute, die in kürzester Zeit von Fremden zu sehr guten Freundinnen geworden sind, waren plötzlich nicht mehr die ganze Zeit da, sondern mussten in ganz andere Richtungen, weil wir sieben Freiwillige komplett verteilt über Deutschland wohnen. Doch in dem Stress des Gepäcksuchens wurde der Moment sehr entzerrt, weil jeder mit sich selbst und der Weiterreise zu tun hatte.

Seit Ende März bin ich jetzt also schon wieder in Deutschland. Mittlerweile kann ich tatsächlich sagen, dass ich mich wieder gefangen und eingelebt habe. Ich blick nach vorne und habe auch schon wieder einiges zu tun. Doch bis dahin war es ein langer Weg. Als ich vor mehr als drei Monaten hier ankam wirkte alles so fremd und doch vertraut. Ich wusste überhaupt nicht mehr wo oben und wo unten ist und konnte mich auf absolut nichts konzentrieren. Meine Gedanken drehten sich im Kreis und ich schwebte in Erinnerungen. Ich hatte so viel Zeit und wollte so viel schaffen, doch es klappte einfach nicht, was mich noch verzweifelter machte. Noch dazu musste ich für mindestens zwei Wochen in Quarantäne und konnte überhaupt nicht raus. Ich hatte nie einen großem Drang raus zu gehen und konnte mich schon immer gut selbst zuhause beschäftigen, aber in dieser Zeit habe ich gemerkt wie dringend ich auch einfach mal raus musste um frische Luft zu schnappen und nicht immer auf die selben vier Wände zu blicken. Auch nach den zwei Wochen ging ich kaum raus, weil ich einfach nicht wusste wohin ich sollte. Es war ein unglaublich komisches Gefühl wieder in Deutschland zu sein, aber niemanden sehen zu können. Vielleicht hätte es mir geholfen meine Freunde wieder zu sehen, aber ich wollte kein Risiko eingehen und blieb deshalb brav zuhause, auch als ich sah, dass viele andere schon wieder anfingen sich mit ihren Freunden zu treffen. Ich versuchte mich abzulenken, half im Garten, machte viel Sport und schaute Serien. Schritt für Schritt kam ich immer mehr an, auch wenn ich an manchen Tagen zu absolut nichts zu gebrauchen war. Irgendwann konnte ich mich auch wieder auf das Lesen konzentrieren, fing an Sachen für die Uni vorzubereiten und brachte mir sogar selbst Latein bei. Vor kurzem konnte ich mich dann endlich wieder mit meinen Freunden treffen und habe sogar meine Mitfreiwilligen schon wieder sehen können. Ich merke also, dass ich immer mehr loslassen kann und mich wieder mehr auf meine Zukunft konzentriere. Jetzt bin ich an einem Punkt, an dem ich mit einem Lächeln im Gesicht an Ecuador zurückdenken kann und einfach so unendlich dankbar für die Zeit dort bin!

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