Noch ein paar Schritte und ich hatte es endlich geschafft.
Nach einer knappen Stunde, in der ich in der Mittagshitze bergauf gelaufen bin,
kam ich endlich an der Schule unserer kleinen Kids an. Noch bevor ich einmal
kurz aufatmen konnte, kamen die beiden Geschwister auf mich zu gerannt und
erzählten wild durcheinander was heute alles passiert ist. Nachdem ich ihre
Taschen und Jacken gefunden und aufgesammelt hatte, waren die beiden aber schon
längst wieder auf dem Klettergerüst. „Nur noch kurz“, bekam ich immer wieder zu
hören. Mit allen möglichen Mitteln versuchte ich sie davon zu überzeugen mit
mir zu kommen. Manchmal klappte es gut, manchmal eher weniger. Nach allen
möglichen Versuchen und gutem Zureden schaffte ich es dann endlich mal wieder,
dass sie herunterkamen, ich setzte ihnen die kleinen Rucksäcke auf und sie
verabschiedeten sich von ihren Freunden und ihrer Lehrerin. Kurz vor dem
Ausgang fiel dem Mädchen ein, dass sie jetzt aber noch ganz dringend auf die
Toilette muss. Also: Kommando zurück! Während das Mädchen aufs Klo ging, fing
der Junge plötzlich wieder an, mit einem anderen Jungen Fangen zu spielen. Eine
halbe Ewigkeit später gingen wir dann zusammen aus der Schule. Ein paar Meter
weiter mussten wir aber schon wieder stehen bleiben. Dort befindet sich die
Schule von drei weiteren Kindern der Fundación, die abgeholt werden müssen.
Allerdings erst ein bisschen später, also hieß es warten. Während ich versuchte
die Geschwister ohne Streit einigermaßen in meiner Nähe zu behalten, kamen mal
wieder ein paar Eltern auf mich zu und fragten, warum ich so viele Kinder von
der Schule abhole. Nachdem ich die Geschichte dann ein paar Mal erzählte, rannten
schon die ersten Kinder aus den Klassenzimmern in den Pausenhof, den man durch
den Zaun, vor dem sich mittlerweile eine Horde Eltern versammelten, ganz gut sah.
Ich versuchte schon einmal meine Kids zu entdecken, was meist aber eher
erfolglos ausging. Die ersten Kinder kamen aus der Schule und entfernten sich von
dieser kurz darauf mit ihren Eltern. Andere stürmten auf die Süßigkeiten und
Eisverkäufer zu, die sich mittlerweile vor der Schule versammelt hatten. Ein
paar Minuten später durfen auch die Eltern die Schule betreten. Ich ging also
mit zwei Vierjährigen hinein, suchte meine Kids und ging dann auf das
Klassenzimmer eines der drei Kinder zu, welcher heute seinen Aseo del aula
hatte. Ich trug also den größeren Kindern auf, auf die Kleinen aufzupassen und
fing an, den Boden des Klassenzimmers zu kehren. Immer wieder schaute ich nach
draußen, doch alle fünf Kids spielten ruhig zusammen im Pausenhof. Nachdem ich
auch noch die Tische und Stühle geputzt hatte, versuchte ich auch dieses Mal
wieder die Kinder zum Gehen zu bewegen. Die größeren sind hierbei deutlich
einfacher zu überzeugen und wenn ich Glück hatte, zogen diese dann die Kleinen
auch noch mit. Kurz vor dem Ausgang rannte jetzt plötzlich der kleine Junge ins
Bad. Den drei Größeren merkte man die leichte Genervtheit an, aber sie setzten
sich in den Pausenhof und packten ihre Süßigkeiten aus, bei denen ich mich bis
heute frage wo sie diese oder das Geld dafür herbekamen. Nachdem der kleine
Junge von der Toilette wiederkam, rannte er natürlich auf die Größeren zu und
wollte auch etwas abhaben. Dann kam auch noch eine Lehrerin aus dem
Klassenzimmer von nebenan heraus, mit der ich mich besonders gut verstand, und
fing die tägliche Konversation an. Wenn sie mich nicht schon beim Reinlaufen
abfing, dann spätestens kurz vor dem Gehen. Nach einer netten Unterhaltung ging
ich wieder einmal auf meine Kids zu und irgendwie schaffte ich es auch dieses
Mal wieder nach ein paar Versuchen, sie zum Gehen zu bewegen. Mit den zwei
Kleinen an der Hand, lief ich den Größeren hinterher. Diese beschwerten sich
immer wieder, dass die Kleinen so langsam laufen. Am Ende der Straße fragten
sie mich dann, ob sie kurz zur tienda laufen könnten. Ich nickte und blieb
mit den Geschwistern stehen. Nach ein paar Minuten kamen sie mit noch mehr
Süßigkeiten wieder, um die sich dann wieder einmal alle kurz stritten. In
dieser Zeit fuhr uns der Bus vor der Nase weg, also überquerten wir alle mit
großer Vorsicht die Straße und warteten auf den nächsten, der in ungefähr 10
Minuten kommen sollte. Dadurch das an jeder Ecke ein kleiner Laden war,
schauten auch an dieser Ecke alle wieder mit großen Augen hinein und suchten
alle Taschen nach noch ein bisschen Kleingeld ab. Wenn dann mal wieder nichts
gefunden wurde, probierten sie ihr Glück mal wieder bei mir. Doch da kam auch
schon der Bus und ich war damit beschäftigt, alles was die Kleinen aus ihren
Rucksäcken gekippt hatten, wieder hinein zu befördern während ich gleichzeitig
dafür sorgte, dass sich alle für das Einsteigen bereit machten. Die Größeren
standen allerdings schon längst an der Straße und strecken ihre Arme aus,
sodass der Bus anhielt. Da dieser aber wie fast immer sehr voll war, quetschten
wir uns in den Gang und auf die Treppe. Mit zwei kleinen Rucksäcken und fast
immer einem der Geschwister auf dem Arm, dass sich weigerte vom Gehweg
aufzustehen, suchte ich irgendwie das nötige Kleingeld heraus und reichte es
dem Busfahrer. Dann konnte es endlich los gehen. Die nächsten paar Minuten war
ich dann damit beschäftigt alle Kinder, die sich wild im Bus verteilten, im
Auge zu behalten, mich gut festzuhalten und auch noch auf den Weg zu schauen,
damit wir rechtzeitig ausstiegen. Nachdem ich kurze Zeit später dem Busfahrer
signalisierte, dass wir jetzt aussteigen müssen, gab er noch einmal Vollgas,
hielt aber kurz nach der nächsten Kreuzung an. Die Großen sprangen aus dem Bus,
während ich mit einem Kind auf dem Arm aus dem Bus stieg und kurz danach dem
anderen runter half. Währenddessen gab der Bus schon wieder Gas und war schon
längst weg, als ich das Kind auf den Gehweg setzte. Spätestens jetzt streikte
eines der Geschwister komplett und hatte absolut keine Lust mehr zu laufen. Wie
viel Zeit ich an dieser Stelle schon mit Überredungskunst verbrachte, möchte
ich gar nicht wissen, aber ich sag es mal so: Alle angrenzenden Nachbarn und die
meisten Passanten kennen mich bereits sehr gut. Die Größeren waren mittlerweile
schon sehr genervt und wollten einfach nur nach Hause. Was mir aber ganz recht
war, denn so halfen sie mir, die Kleinen zum Gehen zu bewegen. Nicht selten flossen
hier Tränen oder es gab Wutausbrüche. Nach einer gefühlten Ewigkeit brachte ich
dann, wie auch immer, alle Kinder zum Laufen und kurze Zeit später war die Welt
auch meistens schon wieder in Ordnung. Weit war es jetzt wirklich nicht mehr. Kurze
Zeit später waren wir fast am Tor des ehemaligen Parks und Schwimmbades
angekommen, in dem das Kinderheim stand. Im Kopf fing ich an von drei herunter
zu zählten: 3, 2, 1, 0 … und schon fingen die Größeren an zu rennen. „Ich
klingle“… „nein ich“… „aber du hast schon letztes Mal“, hörte ich die Kids vor
mir schreien. Das erste Lächeln des Tages huschte über meine Lippen, aber schon
kurz danach lief ich schnell hinterher, um weitere Streitigkeiten zu vermeiden.
Nachdem dann geklingelt wurde, versteckten sich alle hinter der Mauer. Da kam
er auch schon: der nette Mann von nebenan mit dem ich mich wieder einmal kurz
unterhielt, während er das Tor aufschloss. Ich bedankte mich schließlich und
ging mit den kleinen Kindern hindurch. Auch dem netten Herrn war das Versteck
spielen bereits bekannt. Er schaute mich nur kurz an und nach dem ich nickte,
spielte er mit. Er tat so, als würde keiner mehr kommen und machte langsam das
Tor wieder zu. Da kamen die drei aus ihrem Versteck und huschten noch schnell
durch das halb offene Tor. Jetzt war es nun wirklich fast geschafft. Am Anfang
des Parks standen ganz viele Stauden voll mit Äpfeln, das nächste große
Hindernis. Wie oft ich den Kids schon gesagt habe, dass das nicht unsere sind
und sie die nicht einfach klauen dürfen… ehrlich gesagt habe ich irgendwann das
Zählen aufgehört. Wenn dann natürlich einer anfängt, stehen kurze Zeit später
alle zwischen den Stauden und fingen gierig an Äpfel zu pflücken. Inzwischen
bin ich schon bei: „aber bitte jeder nur einen Apfel“, aber auch das
funktionierte eher selten. Mit „der Mann kommt wieder“, bekomme ich sie aber
meist ganz gut zum Weiterlaufen. Doch die nächste Herausforderung befand sich
schon ein paar Schritte weiter zu unserer Rechten. Pferde. So lange sie weiter
weg sind, finden die Geschwister sie noch ganz toll und sind völlig fasziniert
von ihnen, aber sobald wir den Pferden näherkommen, bekam das Mädchen Angst und
weigerte sich wieder einmal weiter zu laufen. Jedes Mal erklärte ich ihr dann,
dass die Pferde an den Bäumen festgebunden sind. Manchmal klammerte sie sich
dann fest an meine Hand und versteckte sich hinter mir, manchmal muss ich sie
aber auch tragen. Doch danach ist es endlich geschafft, das Kinderheim ist in
Sicht. Die Großen rannten schon Voraus, aber nicht etwa zum Kinderheim, sondern
zum Mora-Strauch, der sich kurz davor an einem Fluss befindet. Ich
versuchte die Kleinen dann so abzulenken, dass sie nicht auch noch durch die dornigen
Sträucher in die Nähe des Flusses wollten und dann endlich waren wir da. Doch Ausruhen
ist nicht, dort erwarteten mich bereits die restlichen Kinder und tausend
andere Aufgaben im Haushalt und mit den Kindern. Die nächste große
Herausforderung ist es dann, alle Kinder zum Umziehen und Mittagessen zu
bewegen. Danach Abwaschen, Spülen, Wäsche machen, den Kindern bei ihren
Hausaufgaben helfen und sich eine Aktivität für den Rest der Kinder ausdenken.
Nach ein paar Einkäufen standen schon wieder das tägliche Duschen und dann das
Abendessen an. Plötzlich ist es auch schon 20 Uhr und wenn ich dann auch noch
ganz viel Glück habe und nichts mehr zu tun ist, bin ich fertig. Mit der Arbeit
und mit dem Tag. In der Dunkelheit laufe ich nach Hause und falle dort nur noch
ins Bett, gespannt was die Kids sich am nächsten Tag wieder alles einfallen ließen!
Woher ich diese ganze Energie nehme? Von den Kindern selbst.
Die, die mich nicht selten zur Verzweiflung und an den Rand meiner Fähigkeiten
bringen, geben mir gleichzeitig auch die Kraft dazu alles irgendwie zu
meistern. Es sind die ganz kleinen Momente, in denen sie mir ein Lächeln auf
die Lippen zaubern. Momente, die mich zu Tränen rühren und die mich nie
vergessen lassen, warum ich das alles tagtäglich auf mich nehme.
Und jetzt sitze ich hier. Bin leider wieder in Deutschland.
Viel zu früh musste ich weg von all dem Chaos aber auch von all den tollen
Menschen und wunderbaren Orten. So viel geht mir gerade durch den Kopf, doch
eines werde ich ganz sicher nie vergessen. Die Liebe, die ich dort ausnahmslos von
allen bekommen habe und jeden Tag aufs Neue versucht habe zurückzugeben. An
die, die es am Meisten brauchen: die Kinder!
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